Chronik

Nibelungen

 

FREILUFTGEFANGENENTHEATER in der JVA Tegel

 

Premiere: 7. Juni 2006

Vorstellungen: 16., 21., 23., 28. Juni 2006

Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft begibt sich das Berliner Gefängnistheaterprojekt aufBruch mit den NIBELUNGEN – der ersten Open-Air-Inszenierung in der JVA Tegel – in ein künstlerisches Abenteuer.

 

Vor der Backsteinfassade des ältesten Teiles der Anstalt auf einem brachliegenden Freistundensportplatz treten über vierzig Gefangene vor das Publikum. Sie werden inmitten der Justizvollzugsanstalt Tegel, Europas größter Haftanstalt, eine szenische Collage zum zentralen Mythos der deutschen Geschichte aufführen.

 

Rom ist vom Untergang bedroht, Burgund am Rhein letztes Bollwerk der „Zivilisation“ gegen die anrückenden Barbaren. Siegfried, der Fremde aus Niederland, verhilft den Burgunden zu Reichtum und militärischer Stärke. Die persönliche Rivalität zwischen den Königinnen Brünhild und Kriemhild liefert den Anlass für Siegfrieds Ermordung. Der Grund aber ist, dass er politisch nicht mehr gebraucht wird. Kriemhild, Siegfrieds Witwe, sinnt auf Rache und verbündet sich mit dem Hunnenkönig Etzel. Ohne Aussicht auf ein Entkommen verschanzen sich die Burgunden in ihrer Festung vor der hunnischen Übermacht. Sie klammern sich an den Nibelungenschatz und bleiben Siegfrieds Mörder Hagen treu bis in den Tod.

Regie: Peter Atanassow, Bühne: Holger Syrbe, Kostüme: Anja Mikolajetz, Dramaturgie: Daniel Dumont / Jörg Mihan, Choreographie: Valérie Kroener, Produktionsleitung: Sibylle Arndt, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Björn Pätz, Regieassistenz: Asja Neumann, Kostümassistenz: Sophie Jentzsch, Technik: Ralf Kallweit / Urs Zimmermann

 

Es spielte das Gefangenenensemble der Justizvollzugsanstalt Tegel.
Ali, Devade, Dirk Stephan, Doktor, Drkid, Erdener, Frank, Hüseyin Okur, Ivan Jakovlev-Pillau, Kurt Lummert, M. Ceylan, Marcell Meinert, Mathias Groch, Micha, Peter&Paul, R.W., Roman H., Sait Kocak, Sebastian, Spotty, Timur D., Tom, Tuncay, Volker Ullmann, Wilfried Scheffler, Wolfgang R., Yussef

Fotos: Thomas Aurin

Jede Art der Verwendung nur nach vorheriger Genehmigung durch aufBruch / Thomas Aurin

www.thomas-aurin.de

Pressestimmen

... Nachdem sich das gewaltige Eisentor knirschend geöffnet hat, bringt ein Uniformierter die Gruppe zu einem bislang brach gelegenen "Freistundensportplatz" mit narbiger Grasdecke. Dort wartet zwischen zwei backsteinernen Gebäudeflügeln eine Tribüne auf das Publikum, ein kreuzförmiges Podest auf die Darsteller.
Aus den vergitterten Zellenfenstern ringsherum strecken die Inhaftierten wie in alten Filmen die Arme heraus, rufen, fluchen, pfeifen. Das erste Tegeler Knast-Open-Air findet eben nicht im luftleeren Raum statt. ...
In der JVA Tegel, wo zu rund einem Drittel Ausländer einsitzen, macht die Kostümierung mit aktueller Bundeswehr-Kampfkleidung alle am Stück beteiligten Deutschen, Kurden, Russen, Libanesen, Serben, Türken, Palästinenser gleich: Mann ist Mann - und das in hart die Szenen prägender Entschlossenheit. Auf diese physische Weise reflektieren die Arrestanten ihre Rollen im anonymisierenden Gefängnisalltag wie im aufgefächerten gesellschaftlichen Funktionszusammenhang. Sie sind so frei, obwohl sie überwiegend lange Strafen verbüßen, und treten bedacht wie kraftvoll aus ihrer Nischenexistenz heraus: Hinter Stacheldraht, aber in dieser außerordentlichen Aufführung keineswegs hinterm Mond. (Berliner Zeitung)

 

... Ein schöner Siegfried mit langem Haar und Bart macht seine Ausfallschritte mit dem hölzernen Schwert. Er zeigt den Helden her, mehr so zum Spaß. Ein kleiner, lauernder Gunther krümmt sich. Tom, der eine starre Kriemhild darstellt, hat eine rote Armbinde wegen ihrer "roten" Ideen einer Erneuerung der Welt; das ist ein Motiv aus Moritz Rinkes Text. Brunhild steht stark im Fleische mit einer kreuzweis gegürteten nackten Brust. Frank spielt sie gut, die Gekränkte. Die Doppelhochzeit wird zum bösen Witz. Liebeswerben und Eheschluss, Gunthers Versagen und Siegfrieds Taten, Kriemhilds und Brunhilds Streit werden mit Formeln der Alltagssprache ins Komische getrieben. "Was bildet die sich ein!" Die Profanisierung wird vom Publikum dankbar angenommen. Nur im heiteren Wettkampf um die beste Metapher für die Verherrlichung einer Frau, Mond oder Morgenrot, kommt so etwas wie die Poesie der alten Liebesgeschichte auf. (Freitag vom 16.06.06)

 

Hier stimmt die Atmosphäre. Der Ort des Geschehens ist visuell optimal ausgewählt. Die große Openair-Bühne ist umrahmt von der tristen Backsteinfassade des ältesten Gefängnisteils der JVA Tegel. Panzersperren stehen auf der Spielfläche der brach liegenden Fußballplätze. Genau hier, hinter und vor den Mauern, kann sich der zentrale deutsche Mythos der Nibelungen in voller Konsequenz entfalten: Hagen gegen Siegfried, Etzel gegen die Burgunder, jeder gegen jeden – der Krieg und das Morden hört nicht auf. ... Alle, auch wir Zuschauer, sind Gefangene und erleben eine unaufhaltsame Mechanik, bei der die Toten am Ende auf einem schwarzen Gerüst hängen. Diese mythische Welt ist ganz fremd und doch ganz gegenwärtig. Das Gefangenenensemble aufBruch hat einen großen Theatercoup gelandet. (Zitty 13/2006)

 

Ein martialischer Grundeindruck: Dröge Wiese, Tribünenplätze, Maschendrahtzaun, rund herum Zellentrakte, Wärter, ein paar grimmig wirkende Gefangene. Das sind Ort und Rahmen für die beeindruckende Nibelungen-Inszenierung des Freiluftgefangenen-Theaters der Justizvollzugsanstalt Tegel. ... Der klassische Sagenstoff wird in Tegel besonders als verhängnisvolles Spiel um Treue und Verrat inszeniert. Stark dabei ist die Darstellung. In Kampfszenen rennen die Gefangenen mit Stöcken in der Hand aufeinander zu, deuten Schläge an, trennen sich wieder und bilden erneut zwei kriegsbereite Parteien. ... Letztlich gibt es dann nur Anführer und Geführte. Wirklich gut dargeboten. (Neues Deutschland vom 21. Juni 2006)

 

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Spielort:
JVA Tegel
Seidelstr. 39 / Tor 2
13507 Berlin
BVG-Anfahrt: U-Bahn-Linie 6 Otisstr.
/ Holzhauser Str.

 

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